Wie bei allen Verlusterfahrungen, trauern Kinder auch bei einer Scheidung oder Trennung der Eltern. Dieser Trauerprozess verläuft nicht linear, Kinder trauern in Pfützen: Wenn sie bemerken, dass sie den anderen Elternteil vermissen, kommt eine große Traurigkeit hoch. Manchmal auch Wut, Hilflosigkeit oder Ohnmacht.
Bei Kindern äußert sich Trauer häufig als Kopfschmerz oder Bauchweh; sie können sich in der Schule nicht mehr so gut konzentrieren, zeigen ein auffälliges Verhalten. Das fällt von Kind zu Kind ganz unterschiedlich aus. Auch übertriebene Fröhlichkeit oder Regression – also ein Rückfall in eine frühere Entwicklungsstufe – sind normal und sollten begleitet werden. Kinder müssen sich sortieren und an die neue Situation gewöhnen. Das braucht viel Zeit und Unterstützung.
Jedes Gefühl hat eine Funktion im Leben. Es gibt keine negativen Emotionen. Wenn die Wut sprechen könnte, würde sie sagen: „Das ist falsch, damit bin ich nicht einverstanden.“ Wut geht immer nach vorn und wird laut: „Nein, so darf das nicht sein.“ Eine sehr gesunde und logische Reaktion, wenn Mama und Papa sich trennen.
Unangenehme Gefühle schalten unsere Vernunft aus. Wir lernen und entwickeln uns nicht, wenn wir emotional nicht abgeholt werden. Daher halte ich es für wichtig, dass wir als Eltern und Fachkräfte unsere Haltung zu Emotionen überdenken. Nur wenn Trauer sein darf, kann es wieder Freude geben.
Auf keinen Fall einfach weiter machen, ablenken, verdrängen oder so tun, als ob nichts passiert wäre. „Komm wieder, wenn du dich beruhigt hast“, wäre der falsche Weg. Wir müssen hinsehen. Viele Eltern haben Angst davor, dass die Traurigkeit des Kindes nicht mehr aufhört – oft muss sie aber einfach nur raus. Dafür braucht es nicht viele Worte, es reicht, wenn wir spiegeln und da sind: „Du bist gerade sehr traurig. Das verstehe ich. Ich bin bei dir.“
Kinder geraten bei einer Trennung der Eltern in einen Loyalitätskonflikt: Sie lieben beide Elternteile, vorausgesetzt, es bestand vor der Trennung eine Bindung zu beiden. Wenn Kinder also plötzlich gar nicht mehr nach einem Elternteil fragen, ist das in der Regel eher ein Alarmsignal. Kinder sollen nicht das Gefühl vermittelt bekommen, dass mit der Trennung ihre Wurzeln gekappt wurden – also bitte nicht alle Familienfotos löschen. Kinder dürfen in Erinnerungen schwelgen. Dieses Fundament gibt ihnen Sicherheit.
Mama und Papa sind oft der größte Schutzanker der Kinder. Beide sollten – wenn möglich – weiterhin eine bedeutende Rolle im Leben des Kindes spielen und zeigen: „Ich bin nach wie vor für dich da, du kannst auf mich zählen.“ Dabei geht es gar nicht so sehr um Quantität, sondern Qualität. Man sollte sich den Alltag so schön wie möglich machen und schauen: „Was brauche ich und was brauchst du, damit es uns allen gut geht?“ Mütter und Väter müssen sich bewusst werden, welche Rolle sie einnehmen wollen und woran sich ihr Kind später erinnern soll.
Nein. Daher ist es essenziell, dass die Eltern sich gut um ihre eigenen Gefühle und emotionalen Baustellen kümmern, um ihr Kind begleiten zu können. Erst dann sind sie in der Lage, für ihr Kind emotional verfügbar zu sein und auf seine vielfältigen Gefühle einzugehen.
Leider haben wir alle keine gute Emotionskultur erlebt. In Stresssituationen greift unser Gehirn dann auf bekannte Strategien zurück. Uns muss also bewusst sein, dass nicht alles sofort klappt. Das ist ok. Es ist ein individueller Prozess, in dem jede Familie lernen muss, dass alle Gefühle und Bedürfnisse beachtet werden sollten. Das setzt voraus, dass ich nicht nur funktioniere und dadurch nicht mehr spüre, was mich selbst bewegt und berührt. Auch Eltern brauchen Schutzanker.
Bei hochbelasteten Familien, also wenn es in der Vergangenheit Gewalt, schwere psychische Belastungen o. ä. gegeben hat, ist es umso wichtiger, das soziale Umfeld einzubinden – Großeltern, Freund*innen, weitere vertraute Personen – um das Kind aufzufangen und mit Wärme zu umgeben.
Gerade in Trennungssituationen sind die Erwachsenen selbst sehr belastet und die Fronten verhärtet. Daher halte ich ganzheitliche familienbildende Unterstützungsangebote für ratsam. Wichtig ist, dass der Fokus auf Emotionen gelegt und die Kinderperspektive beachtet wird.
Erzieher*innen in Kitas schätzen, dass etwa 70 bis 80 Prozent der Kinder in Trennungsfamilien leben. Diese Zahl hält sich konstant und ist durch Corona noch einmal in die Höhe gegangen. Allerdings gibt es keine gesetzlich verankerten Angebote für diese Lebenswelten. Dabei brauchen Eltern kurze Wege und keine weiteren Anträge. Ich halte es daher für absolut notwendig, dass es mehr niedrigschwellige Angebote direkt in den Einrichtungen geben sollte, und zwar durch externe Expert*innen, um den Arbeitsdruck für das Personal vor Ort nicht zusätzlich zu steigern.
Erzieher*innen und Lehrkräften rate ich darüber hinaus, eine offene, vertrauensvolle Basis zu schaffen, sowohl zu den Eltern als auch zu den Kindern. Gefühle sind Bildungsstoff. Auf Fortbildungen sensibilisiere ich dafür, beide Elternteile nach einer Trennung zu involvieren – eine Einladung zum Elternabend beispielsweise sowohl an Mutter als auch an Vater zu schicken. Eltern möchten auch weiterhin wissen, wie es ihrem Kind geht. So beugen wir auch einer Eltern-Kind-Entfremdung vor.
Ich beobachte oft Trennungsängste. Die grundlegende Voraussetzung für sichere Bindungsbeziehungen ist ein feinfühliges und angemessenes Interaktionsverhalten, das die Eltern zeigen. Dadurch kann das Kind ein Gefühl von Sicherheit und Verbundenheit entwickeln.
Das ist wichtig, weil Beziehungs- und Interaktionsmuster, die wir im Kindesalter erlernen, sich in sehr vielen Fällen im Jugend- und Erwachsenenalter fortsetzen. So kann es langfristig zu Bindungsstörungen kommen.
Vielen Kindern fällt es schwer, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu benennen. Wenn ich selbst aber nicht weiß, was mit mir los ist und was ich brauche, kann ich eine Herausforderung nicht bewältigen.
Wir müssen den Fokus darauf legen, Kinder von klein auf für Gefühle zu sensibilisieren und Emotionen ganz bewusst wahrzunehmen. Wie habe ich mich heute gefühlt? Was war gut, was schlecht? Wie fühlt sich Wut an? Wo empfinde ich Traurigkeit? Das sollte unabhängig von konkreten Anlässen passieren, schließlich sind Gefühle keine Eintagsfliege.
Ich denke, ja. Wenn sie begleitet werden und spüren, dass jemand für sie da ist, können sie gestärkt aus diesen Situationen hervorgehen. Sie erkennen: Auch wenn alles ins Wanken gerät – ich bin noch hier. Ich weiß, wo ich stehe und kann mit offenem Herzen durchs Leben gehen. Außerdem lernen viele Kinder gerade in solchen Trennungsmomenten ihre eigenen Grenzen kennen und entwickeln ein Gespür dafür, dass es wichtig ist, sich selbst zu vertrauen. Ein großer Gewinn für die großen und kleinen Stürme, die das Leben noch bereithalten wird.
Neben der Begleitung von Kindern bei Trennung der Eltern umfasst das Spektrum u. a. auch Trauerarbeit, Sterbebegleitung, Buchgespräche, Biografiearbeit, Supervision, Themenabende, Fortbildungen sowie Projekte an Schulen und Kitas.
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