Resilienz – das Immunsystem der Kinderseele

Kinder aus psychisch und/oder suchtbelasteten Familien haben ein erhöhtes Risiko selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln (vgl. Mattejat und Remschmidt 2008). Diese Kinder sind oftmals mehreren Risikofaktoren ausgesetzt wie einer ungünstigen genetischen Disposition, belastenden Umweltfaktoren, aber auch einer eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der erkrankten Eltern gegenüber den Kindern. Damit ist die Fähigkeit der Eltern, adäquat auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen, krankheitsbedingt oftmals eingeschränkt ist. So wurde bspw. festgestellt, dass bei depressiven Elternteilen Beziehungs- und Interaktionsverhalten wir Blickkontakt, Lächeln oder Streicheln des Säuglings eingeschränkt sind. 

Trotz dieser hohen Belastung der Kinder und der ungünstigen Lebensumstände wurde beobachtet, dass einige Kinder unbeschadeter als andere durch Krisen kommen. Der Fachbegriff für diese Krisenkompetenz lautet Resilienz. 

Der Begriff Resilienz ist auf das lateinische Wort resilere (abprallen) zurückzuführen und bedeutet psychische Widerstandsfähigkeit. Abgeleitet wird er vom englischen resilience, was mit Spannkraft, Elastizität oder Unverwüstlichkeit übersetzt wird. Das Konzept der Resilienz orientiert sich an dem Konzept der Salutogenese des Medizinsoziologen Antonovsky. 

Resilienz bezieht sich auf die Fähigkeit eines Individuums oder einer Gruppe, belastende Lebensumstände oder Stresssituationen erfolgreich zu meistern, also nicht an ihnen zugrundezugehen. Es gibt verschiedenste biologische, psychologische oder soziale Umstände, die Risiken für die kindliche Entwicklung darstellen. Trotz Vorhandensein solcher Risiken ist dennoch häufig zu beobachten, dass Kinder zu stabilen und leistungsfähigen Persönlichkeiten heranwachsen. Dieses Phänomen einer kindlichen Widerstandskraft in Anbetracht hoher Entwicklungsrisiken wird als Resilienz bezeichnet.

Der Beginn der Resilienzforschung 

Die Resilienzforschung ist ein recht neues Forschungsgebiet. Ihre Wurzeln sind auf der hawaiianischen Insel Kauai zu finden. Die beiden amerikanischen Entwicklungspsychologinnen Emmy E. Werner und Ruth Smith wollten dort untersuchen, wie sich schwierige Startvoraussetzungen in der Kindheit auf das spätere Leben auswirken. Für die Studie wurden Daten von über 690 Kindern des Jahrganges 1955 von der Geburt der Kinder bis über 40 Jahre hinweg untersucht und ausgewertet. 
Die Forschungsergebnisse zeigten, dass sich ein Drittel der Kinder zu psychisch gesunden und stabilen Erwachsenen entwickelte- trotz schwieriger Entwicklungsbedingungen. Daraus schlussfolgerten die beiden Wissenschaftlerinnen, dass seelische Schutzfaktoren existieren. 
Doch was zeichnete diese Kinder vorrangig aus? 
Es zeigte sich, dass diese Kinder vor allem: 

  • auf ihre eigenen Gefühle und Empfindungen vertrauen 
  • Hindernisse aus eigener Kraft bewältigen oder sich eine geeignete Hilfe suchen 
  • Emotionen wie Kummer und Ärger regulieren, indem sie auch in negativen Erfahrungen positive Seiten erkennen 
  • Rückschläge akzeptieren und nicht sofort aufgeben
  • eine positive Haltung zum Leben haben und ein Grundvertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben. 

Zudem zeigte die Forschung, dass es sich bei Resilienz nicht um eine angeborene Eigenschaft handelt. Psychische Widerstandsfähigkeit ist erlernbar. Und: Menschen verfügen über unterschiedlich stark ausgeprägte Resilienz. 

Was sind die wichtigsten Schutzfaktoren bei Kindern? 

Kinder, die eine besondere psychische Widerstandsfähigkeit zeigen, verfügen über folgende Schutzfaktoren. 

  1. Eine sichere, stabile Bindung zu mindestens einer stabilen, zuverlässigen Bezugsperson: Oftmals ist dies die Mutter oder der Vater des Kindes, jedoch muss es sich hierbei nicht zwangsläufig um ein Familienmitglied handeln. Stabile Bindungen sind sowohl für Kinder als auch für Erwachsene eine der wichtigsten Säulen der Resilienz. 
  2. Soziale Unterstützung: Kinder benötigen das Gefühl der sozialen Unterstützung durch das nähere Umfeld
  3. Selbstwirksamkeitserwartung: Kinder sollten an sich und ihre Fähigkeiten glauben, dann sind sie robuster und widerstandsfähiger, wenn Krisen auftreten. 

Nach Lenz (2005) zeigen diese Kinder ein aktives kontaktfreudiges Temperament, d.h. diese Kinder trauen sich etwas zu, gehen auf andere zu, um sich Hilfe zu holen, sind flexibel und anpassungsfähig, haben ein immanentes Gefühl von Zuversicht und sind nicht so stressanfällig wie andere. 

Bender und Lösel (1998) unterschieden einerseits generelle Schutzfaktoren für Kinder aus psychisch belasteten Familien: kindzentrierte Schutzfaktoren, familienorientierte Schutzfaktoren und soziale Schutzfaktoren. Andererseits zählten sie zu spezifischen Schutzfaktoren für Kinder von psychisch erkrankten Eltern die alters- und entwicklungsadäquate Informationsvermittlung und Aufklärung der Kinder über die Erkrankung und die Behandlung des Elternteils sowie eine adäquate individuelle und familiäre Krankheitsbewältigung.

Förderung der Resilienzfähigkeit von Kindern 

Wie können Eltern, aber auch Fachkräfte die Resilienz von Kindern aus belasteten Familien fördern? 
Eltern, aber auch weitere Familienmitglieder des Kindes sowie Fachkräfte, die mit Kindern zusammenarbeiten, können die Resilienzfähigkeit von Kindern stark beeinflussen. Sie können somit die seelische Gesundheit der Kinder in hohem Maße positiv prägen. 
Wesentliche Punkte, die die Resilienz von Kindern und Jugendlichen stärken, sind:

  • Vertrauen, Nähe und Sicherheit
  • Vermittlung von Lob, Wertschätzung und Akzeptanz 
  • Optimismus und Humor
  • Klarheit und Kommunikation
  • Regeln und Struktur
  • Ermutigung zu Eigenaktivität und Verantwortung
  • positive Kontakte zu Gleichaltrigen
  • positive und fürsorgliche Vorbilder
  • Problembewältigung und Emotionsregulation
  • Hilfen & Unterstützung zulassen
  • Sprechen über die psychische Belastung 

Sätze wie „Ich glaube an dich“, „Du kannst es schaffen“, „Ich bin stolz auf dich“, „Du bist wertvoll“ oder „Du bist nicht schuld (bspw. an der Erkrankung der Eltern etc.)“ sollten alle Kinder regelmäßig hören. Kinder aus psychisch und/oder belasteten Familien brauchen sie umso mehr.  
Stabile, positive soziale Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie (bspw. Verwandte, Freunde, Lehrkräfte, Erzieher*innen) stärken gefährdete Kinder im besonderen Maße. Sie können den Kindern in Krisen helfen und dem Kind Sicherheit und Halt geben. Außerdem fördern sie das Wohlbefinden des Kindes und sein Zugehörigkeitsgefühl. Gemeinsame Zeit mit diesen wichtigen Bezugspersonen schafft Vertrauen und das Gefühl von Geborgenheit und Ablenkung von den belastenden Themen der Eltern. Auch Freizeitaktivitäten und Hobbys wirken auf belastete Kinder stabilisierend. 

Innerhalb der Familie hilft eine offene Kommunikation der Eltern zur Vorbeugung von Belastungen bei den Kindern – auch hinsichtlich ihrer Erkrankung. Kinder sollten altersadäquat über die psychische Erkrankung der Eltern aufgeklärt werden. Eltern können hierbei auch durch Fachkräfte bspw. in den Familienberatungsstellen Unterstützung finden. Dies hilft den Kindern die Krankheit der Eltern zu verstehen. Zudem ist es wichtig, Kinder von Schuld- und Verantwortungsgefühlen gegenüber den Eltern zu befreien.

Ein geregelter, stabiler Tagesablauf stärkt Kinder zusätzlich. Rituale wie gemeinsames Essen, Vorlesen vor dem Zubettgehen oder gemeinsames Spielen stärkt die Eltern-Kind-Beziehung und gibt den Kindern das Gefühl von Sicherheit und Struktur. Wenn Eltern vorübergehend nicht in der Lage sind, Stabilität zu gewährleisten, sollten sie sich Hilfe holen. Auch um Hilfe fragen ist ein wichtiges Zeichen einer verantwortungsvollen und liebevollen Elternrolle und wirkt schützend und stärkend auf die Kinder. 

Weitere Informationen zum Thema Resilienz bei Kindern finden Sie auch hier oder hier

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