
Isabell Franz lächelt, als sie sagt: „Vor sechseinhalb Jahren bin ich Mama geworden.“ Dabei war der Start in ihre neue Rolle alles andere als rosarot. Direkt nach der Geburt ihrer Tochter empfindet die junge Mutter vor allem eines: Leere. Eine schwere postpartale Depression reißt sie aus der ersten Babyzeit und fordert schnelle Hilfe.
Aktuelle Studien belegen, dass zwischen 15 bis 20 Prozent aller Mütter und auch immer mehr Väter nach der Geburt psychisch erkranken. Gleichzeitig werden Schwierigkeiten in der Elternrolle selten öffentlich thematisiert. Das möchte die neue Broschüre „Geburt und Psyche“ der Landesfachstelle KipsFam (kurz für: Kinder aus psychisch und/oder suchtbelasteten Familien) jetzt ändern und Betroffenen eine Stimme geben. Wie Isabell Franz, die in dem Heft ihre Erfahrungen schildert.
„Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass mich das so vom Hocker reißt“, sagt sie heute. Dass etwas nicht stimmt, merkt sie früh: „Auf der Wöchnerinnenstation ging es los mit Schlaflosigkeit, diffusen Angstgefühlen und Überforderung“, erinnert sie sich. Die Hoffnung, dass es zuhause besser wird, erfüllt sich nicht. Im Gegenteil: Auf einmal schleichen sich Gedanken und Bilder ein, wie die junge Mutter ihrem Baby etwas antut. „Ich hatte inneren Druck und Angst, dass es wirklich passiert und ich die Kontrolle verliere. Ich konnte nicht atmen und habe Panikattacken bekommen, wenn ich meine Tochter wickeln musste. Es war gar nichts mehr in mir drin. Ich konnte nur liegen und atmen.“
Isabell Franz kommt wieder in die Güstrower Klinik, später in eine spezielle Einrichtung in Schleswig-Holstein. Sie wird auf Medikamente eingestellt und intensiv begleitet. Sie hat Glück: Partner und Familie unterstützten sie von Anfang an, Termine für Therapie und Reha sind schnell gefunden. „Zur rechten Zeit am rechten Ort“, sagt sie und weiß: „Andere müssen lange kämpfen. Dabei darf es nicht vom Zufall abhängen, ob und wann man Hilfe bekommt.“
Dafür setzt sich auch die Landesfachstelle ein. „Mit der Broschüre möchten wir das Thema besprechbar machen und vom Stigma befreien“, so Dr. Kristin Pomowski, Koordinatorin des Projekts. „Angebote für Familien sollten in MV weiter ausgebaut, psychische Belastungen von Eltern gesehen und ernst genommen werden.“ Dafür ordnen Fachleute die Thematik in dem Heft konkret ein. So zeigt beispielsweise Kathrin Herold vom Landeshebammenverband MV die Versorgungssituation im Bundesland und Conny Kirsten vom Verein Fas(T)D perfekt MV klärt über die Fetale Alkoholspektrumsstörung auf. Neben Erfahrungsberichten und Fragebögen listet die Broschüre auch verschiedene Anlaufstellen für hilfesuchende Familien auf. Eine davon hat Isabell Franz nach ihrer Zeit in der Klinik gegründet.
„Natürlich hatte ich davor Bammel, plötzlich allein mit dem Baby zu sein“, erinnert sie sich. „Also bin ich aktiv geworden, habe mich bei den Frühen Hilfen gemeldet, Rückbildung gemacht und Kontakt zu Beratungsstellen aufgebaut.“ Dort findet sie sich mit anderen Frauen zusammen, die Ähnliches durchlebt haben, und gründet eine Selbsthilfegruppe für Mütter – die Babyblues Mamas in Güstrow, die bis heute aktiv sind.
Auch ihre Tochter, mittlerweile eine lebhafte Grundschülerin, weiß von der Erkrankung der Mama. „Kinder merken es sowieso. Sie weiß, dass wir am Anfang länger im Krankenhaus waren, weil es meinem Kopf nicht gut ging und ich Sachen gedacht habe, die ich gar nicht denken wollte", sagt Isabell Franz. "Ich finde es wichtig, dass ich als Mama das anspreche, was das Kind sieht. Erwachsene sollten ihre Gefühle nicht totschweigen, sonst fragen die Kinder sich, was sie falsch gemacht haben.“
Anderen Betroffenen will sie Mut machen, Hilfe zu suchen. „Ohne wüsste ich nicht, wo ich heute bin – und ob ich bin“, sagt sie und rät: „Wenn es sich grad nicht so anfühlt, dass es besser werden kann: Das ist ein Symptom. Es kann behandelt werden. Irgendwann kommt ihr an den Punkt, wo ihr verdammt glücklich seid, dass ihr das gemacht habt.“
Die Broschüre „Geburt und Psyche“ richtet sich sowohl an Familien als auch an Fachleute. Sie ist digital zu finden - Fachkräfte, die das Heft in ihrer Dienststelle auslegen und verbreiten möchten, können sich per E-Mail an kipsfam@sozialpsychiatrie-mv.de melden und gedruckte Exemplare erhalten.